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Haarsträubender Entscheid: Bei mutmasslichem IV-Missbrauch wird härter durchgegriffen als bei TerrorismusverdachtObservationen bei den Sozialversicherungen

Ein Verdacht auf Missbrauch von Sozialversicherungsleistungen wiegt schwerer als ein Verdacht auf Mord oder terroristische Aktivitäten – zumindest gemäss der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S). Sie will rechtstaatliche Prinzipien über Bord werfen und beantragt, dass bei Observationen von mutmasslichen Versicherungsbetrügerinnen und Betrügern der Einsatz von GPS-Trackern ohne richterliche Genehmigung möglich ist. Inclusion Handicap ist entsetzt über diesen Beschluss. Eine gesetzliche Grundlage für Observationen bei Verdacht auf Missbrauch von IV- Unfallversicherungs- oder Ergänzungsleistungen ist zwar für den Behindertendachverband nötig, doch es kann nicht sein, dass dafür elementare Persönlichkeitsrechte über den Haufen geworfen werden.

Der Schweiz fehlt eine gesetzliche Grundlage, damit Observationen von mutmasslichen Betrügerinnen und –Betrügern von Sozialversicherungsleistungen – also z.B. von IV-, Unfallversicherung- oder Ergänzungsleistungen - durchgeführt werden können. Dies stellte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof fest, weshalb das Parlament diese Lücke im Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) schliessen will. Inclusion Handicap hat dagegen nichts einzuwenden: Versicherungsmissbrauch gilt es selbstverständlich zu bekämpfen. Dies hilft auch dem übermässigen Teil der IV-Bezügerinnen und –Bezüger, welche von bedeutenden Teilen der Öffentlichkeit trotz marginalen Betrugsfällen stets unter Generalverdacht gestellt werden.

Strengere Gesetze als im Strafrecht?

Was die Kommission des Ständerats nun aber vorschlägt, ist nicht zu verantworten: Bei einem Betrugsverdacht sollen Privatdetektive «technische Instrumente zur Standortbestimmung», also insbesondere GPS-Tracker, allein auf Anordnung eines Geschäftsleitungsmitglieds einer IV-Stelle und ohne richterliche Genehmigung einsetzen können. Ein richterlicher Entscheid ist aber sogar in Verdachtsfällen im Rahmen der Strafprozessordnung oder des Nachrichtendienstgesetzes nötig. Mit anderen Worten: Für die Kommission gelten für Personen, die des Betrugs von Sozialversicherungsleistungen verdächtigt werden, nicht dieselben rechtsstaatlichen Prinzipien, wie sie für mutmassliche Vergewaltiger, Mörderinnen oder Terroristen gelten! Menschen mit Behinderungen, die IV beziehen, würden so per Gesetz Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse.

Auch Warnung des Bundesrates greift nicht

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Erlassentwurf ebenfalls auf die ungleiche Behandlung nach rechtsstaatlichen Prinzipien hingewiesen. Dennoch will die Kommission daran festhalten. Das Geschäft kommt in der kommenden Wintersession in den Ständerat. Inclusion Handicap fordert von der kleinen Kammer vehement, dass sie den Entscheid korrigiert und Menschen mit Behinderungen, die Sozialversicherungsleistungen beziehen, die Persönlichkeitsrechte zugesteht, wie sie allen andere Bürgerinnen und Bürgern zustehen!

Gemäss Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) wurden im vergangenen Jahr 270 Observationen angeordnet, wobei in 180 Fällen ein Missbrauch nachgewiesen werden konnte. Die Zahlen von effektiven Betrugsfällen sind also so klein, dass Massnahmen, wie sie die Kommission vorschlägt, mit nichts zu begründen sind.