Bund muss Autonomie und Sicherheit von Menschen mit Behinderungen gewährleistenMedienmitteilung vom 29.09.2022: Energiekrise
Die Schweiz bereitet sich bezüglich Energie auf einen anspruchsvollen Winter vor – insbesondere beim Strom könnte es knapp werden. Für viele Menschen mit Behinderungen sind elektronisch betriebene Hilfsmittel für ein autonomes Leben unverzichtbar. Ein Strommangel würde sie empfindlich treffen. Inclusion Handicap erwartet vom Bund deshalb einen Plan zur Berücksichtigung dieser besonderen Bedürfnisse.
Die Schweiz steht bezüglich Energieversorgung in diesem Winter vor grossen Herausforderungen. Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS ist eine Strommangellage im Winter aktuell das grösste nationale Risiko. Besonders betroffen davon wären auch Menschen mit Behinderungen: Viele sind auf elektronische Hilfsmittel angewiesen – ein Strommangel würde sie besonders hart treffen. Inclusion Handicap, der Dachverband der Behindertenorganisationen, erwartet deshalb, dass Sicherheit und Autonomie von Menschen mit Behinderungen bei der Massnahmenplanung des Bundes von Anfang an hoch priorisiert werden. Entsprechende Interpellationen an den Bundesrat wurden gestern eingereicht.
Elektronische Hilfsmittel zentral für autonome Lebensführung
«Ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden sollte heute trotz Behinderung Standard sein. Dies entspricht der Uno-Behindertenrechtskonvention, welche die Schweiz unterzeichnet hat. Bei einer Strommangellage müssen daher die speziellen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen unbedingt berücksichtigt werden», so Ständerätin und Co-Präsidentin von Inclusion Handicap, Maya Graf (Grüne/BL). Die Liste der elektronischen Apparate, auf die Menschen mit einer Behinderung zum Teil angewiesen sind, ist lang. Dies wird am Beispiel von Thomas B. (Name geändert) deutlich, der weitgehend autonom in einer Mietwohnung lebt. Er ist querschnittgelähmt und kann aufgrund einer neuromuskulären Erkrankung die Hände nur eingeschränkt bewegen. Für Arbeitssitzungen ausserhaus oder zur Fortbewegung in der Wohnung nutzt er einen elektronischen Rollstuhl. Türen, Fenster und Lichter der Wohnung sind ferngesteuert. Einfachste Bewegungsabläufe wie Aufstehen oder Duschen werden durch einen sogenannten Personenlifter unterstützt. Zum Schlafen braucht er ein Atemgerät. Ebenso unentbehrlich: Eine Vielzahl von Medikamenten, die ohne Lagerung im Kühlschrank schnell kaputtgehen würden. Ein unangekündigter Stromunterbruch hätte hier offensichtlich weitreichende oder sogar gefährliche Folgen.
Kreis der Betroffenen ist breit
Für unzählige Personen im Seniorenalter sieht die Lage ähnlich aus – fast 85% der über 80-jährigen leben zu Hause. Mobilitätshilfen, Atem- oder Hörgeräte ermöglichen ihnen ein selbstbestimmtes Leben. Auch blinde und sehbehinderte Menschen nutzen Computer mit einer speziellen Software, die beim Navigieren auf Websites helfen und E-Mails oder Tageszeitungen vorlesen. Menschen mit geringem Sehvermögen sind zudem auf ausreichende Lichtquellen angewiesen – zuhause, wie auch nachts im öffentlichen Raum. Und auch Menschen ohne körperliche Beeinträchtigung wären betroffen: Für Menschen mit einer Angststörung können Stromausfälle eine erhebliche Stressquelle darstellen.
Spezifische Vorkehrungen sind unverzichtbar
Ein lückenloser Stromzugang ist für viele Menschen mit Behinderungen also unentbehrlich. Trotz der geplanten Massnahmen des Bundes gibt es für diesen Winter aber keine Gewissheit. Bei einer Mangellage sind von Sparapellen über Kontingentierungen bis hin zur Netzabschaltung für einige Stunden verschiedene Massnahmen vorgesehen. Welche Rolle in den Überlegungen die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen spielen, bleibt bisher unklar. Nationalrat Christian Lohr (Die Mitte/TG) und Ständerätin Maya Graf richteten sich deshalb gestern Mittwoch mit einer Interpellation an den Bundesrat. Sie wollen wissen, ob der Bundesrat spezifische Massnahmen für Menschen mit Behinderungen vorsieht und wie er diese kommunizieren wird. «Gegen Sparapelle ist grundsätzlich ja nichts einzuwenden, aber es darf nicht vergessen gehen, dass dies für gewisse Personengruppen auch Probleme mit sich bringt. Und es ist die Aufgabe der Politik, die gesamte Bevölkerung dafür zu sensibilisieren», fordert Christian Lohr. Der Bundesrat hat jetzt also die Gelegenheit zu zeigen, dass er aus Corona gelernt hat und frühzeitig an die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen denkt.