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Ein Schritt in die richtige Richtung – folgt eine Trendwende? Medienmitteilung vom 4. März 2020: Bilanz zur IV-Weiterentwicklung

Das Parlament hat endlich eine zukunftsgerichtete IV-Reform beschlossen. Es hat im Rahmen der IV-Weiterentwicklung Voraussetzungen geschaffen, damit die Integration in den Arbeitsmarkt verbessert werden kann. «Es ist zu hoffen, dass damit eine Trendwende eingeläutet wurde und das IV-System insgesamt verbessert wird», sagt Verena Kuonen, Präsidentin von Inclusion Handicap. «Zu lange standen lediglich Sparmassnahmen auf dem Buckel von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund.» Der Nationalrat hat heute die letzte Differenz im Rahmen der IV-Weiterentwicklung ausgemerzt. Die Schlussabstimmung ist noch ausstehend.

«Es ist einerseits erfreulich, dass sich das Parlament zu einer Reform durchringen konnte, bei der konstruktive Lösungen und nicht nur Sparmassnahmen im Vordergrund stehen», präzisiert Kuonen. «Andererseits gilt es nun, weiterhin bestehende Baustellen im IV-System auszumerzen, namentlich bei den Gutachten.»

Auch dank dem Einsatz der Behindertenorganisationen hat sich das Parlament gegen einige einschneidende Sparmassnahmen ausgesprochen. Inclusion Handicap ist erleichtert, dass Forderungen wie die Kürzung der Kinderrenten und der Reisekosten für Eltern oder die Ausrichtung einer ganzen IV-Rente erst ab einem Invaliditätsgrad von 80% keine Mehrheit fanden. Sparmassnahmen sind ohnehin nicht angebracht: Die IV-Sanierung ist aufgrund früherer Reformen auf Kurs. Betroffene müssen schon heute den Gürtel sehr eng schnallen, da die Praxisverschärfungen und die Sparmassnahmen der letzten Revisionen auf dem Buckel von Menschen mit Behinderungen ausgetragen wurden.

Förderung der beruflichen Eingliederung ist die beste Sparmassnahme

«Die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen ist eine nachhaltige Massnahme», sagt Verena Kuonen. «Und hier setzt die Revision richtigerweise an. Als Nebeneffekt können mittelfristig auch die Ausgaben der IV gesenkt werden.» Diverse Beschlüsse wie der Ausbau von Beratungsangeboten, die Erweiterung von Integrationsmassnahmen oder der Früherfassung sollen Personen helfen, im Arbeitsmarkt zu bleiben oder Fuss zu fassen. «Dies sind zukunftsgerichtete Massnahmen», bilanziert Kuonen. «Menschen mit Behinderungen wollen und können arbeiten. Nun ist es aber ebenso wichtig, dass die Instrumente auf ihre Wirkung überprüft werden.» Für Inclusion Handicap ist klar: Die beschlossenen Neuerungen sind für die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderungen nur ein erster Schritt. Ohne stärkeres Engagement der Arbeitgeber geht es nicht.

Auch wenn die Stossrichtung der IV-Weiterentwicklung in die richtige Richtung geht, trifft auch diese Reform einen Teil der Menschen mit Behinderungen einschneidend. Das stufenlose Rentensystem in der vorliegenden Form beinhaltet für Versicherte mit einem Invaliditätsgrad zwischen 60 und 69 Prozent schmerzhafte Rentenkürzungen. Es ist unverständlich, dass gerade diejenigen Personen Einbussen in Kauf nehmen müssen, die es auf dem Arbeitsmarkt ohnehin sehr schwer haben.

Baustellen bleiben

Eine grosse Baustelle bleibt die Qualitätssicherung bei den medizinischen Gutachten. Zwar wurden einige sinnvolle und wichtige Massnahmen beschlossen, die jedoch kaum ausreichen dürften. Zahlreiche Gutachterinnen und Gutachter verfassen immer wieder tendenziöse Berichte, die im Gegenzug mit weiteren, lukrativen Aufträgen durch die IV-Stellen belohnt werden. Diese Praxis wird mit den Beschlüssen im Rahmen der IV-Weiterentwicklung nicht grundlegend verändert. Dies hat auch Bundesrat Alain Berset erkannt, der eine externe Untersuchung des Gutachterwesens anordnete. Inclusion Handicap will dieser Hand bieten und hat eine Meldestelle für die Opfer der IV-Willkür im Bereich der medizinischen Gutachten eingerichtet. Der Dachverband wird die weiteren Entwicklungen bei den IV-Gutachten genau beobachten. 

Begriffsproblematik muss gesamthaft gelöst werden

Die Detailberatungen gingen heute mit der Bereinigung der letzten Differenz zu Ende: Der Nationalrat verzichtet vorderhand auf die Umbenennung von «Kinderrenten» in «Zusatzrente für Eltern». Inclusion Handicap unterstützt diesen Entscheid. Der Ständerat hatte bereits ein Kommissionpostulat überwiesen, wonach sämtliche Begrifflichkeiten in der Sozialversicherungsgesetzgebung überprüft werden sollen. Dies ist richtig, da einige Begriffe einen abwertenden Charakter haben. Hier herrscht Handlungsbedarf: Es ist zu vermuten, dass der UNO-Ausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen die Schweiz deswegen rügen wird, wenn er die Empfehlungen zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention im Spätsommer dieses Jahres veröffentlichen wird.

«Auch die Entwicklung bei den Begrifflichkeiten werden wir im Auge behalten», erklärt Verena Kuonen. «Die Beschlüsse der IV-Weiterentwicklung lassen zwar hoffen, dass eine Trendwende stattgefunden hat und nicht nur ausschliesslich auf Kosten von Versicherten gespart wird. Klar ist aber auch, dass auch in Zukunft noch viel zu tun ist: Für eine vollumfängliche Teilhabe an der Gesellschaft sind faire IV-Leistungen unabdingbar.»