Willkür bei den IV-Gutachten: Eine Vielzahl von Vorstössen
Die Missstände bei den medizinischen Gutachten der IV haben in der Wintersession zahlreiche Interpellationen im Parlament nach sich gezogen. Hintergrund der Vorstösse sind die publik gewordenen FälIe der letzten Wochen, bei denen Gutachterinnen und Gutachter teilweise schludrig gearbeitet haben: Sie schätzten die Arbeitsfähigkeit systematisch zu hoch ein oder kopierten Textzeilen – und erhielten von der IV im Gegenzug z.T. Aufträge in Millionenhöhe. Die Interpellationen verlangen nun Antworten zur Qualitätssicherung bei den Gutachten.
Folgende Interpellationen wurden eingereicht:
- «Fehlentwicklungen im IV-Gutachterwesen korrigieren» (Interpellation 19.4513): Nationalrätin Flavia Wasserfallen will u.a. wissen, welche Lehren der Bundesrat aus der Medienberichterstattung zum IV-Gutachtenbereich zieht und welche Massnahmen er vorsieht. Zudem soll abgeklärt werden, ob öffentliche ärztliche Einrichtungen, die nicht gewinnorientiert arbeiten, einen grösseren Teil der Gutachten übernehmen können.
- «Wie passen Wunderheilungsglaube und polydisziplinäre IV-Gutachtertätigkeit zusammen?»(Interpellation 19.4481). Der Verwaltungsrat, Geschäftsführer, medizinische Leiter und einzige angestellte Gutachter der Medas Oberargaau hat so lange für Gutachten benötigt, dass eine Patientin auf dringend benötigte Hilfe warten musste. Zudem glaubt er an Wunderheilung. Nationalrätin Kathrin Bertschy fragt in ihrer Interpellation, wieso die IV mit so einem Arzt zusammenarbeitet. Zudem will sie wissen, ob geprüft wird, ob Gutachter die maximale Bearbeitungsdauer einhalten.
- «Wie weit darf ein IV-Gutachter gehen?» (Interpellation 19.4498). Dr. K. attestierte im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten einer Frau eine volle Arbeitsfähigkeit. Später beging die Patientin Suizid. Nationalrat Benjamin Roduit stellt die Frage, wie man solche Fälle verhindern könne, ob Dr. K. auf der Expertenliste der IV verbleiben soll oder ob es System hat, dass Dr. K. versicherten Personen zu hohe Arbeitsfähigkeiten bescheinigt.
- «IV-Gutachten: Ist Zufallsauswahl die Lösung?» (Interpellation 19.4469) Heute werden polydisziplinäre Gutachten – d.h. wenn mehrere medizinische Spezialistinnen und Spezialisten nötig sind – per Zufallsprinzip vergeben, nicht jedoch mono- (eine Gutachterin) oder bidisziplinäre (zwei Gutachter) Gutachten. Nationalrat Christian Lohr will vom Bundesrat wissen, ob eine Zufallsvergabe für alle Gutachten eine Verbesserung bringen könnte - auch vor dem Hintergrund, weil die IV-Stellen unter dem Verdacht stehen, zahlreiche Aufträge an besonders restriktive Gutachterinnen und Gutachter zu erteilen.
- «Polydisziplinäre IV-Gutachten: Kriterien für die Anerkennung von Gutachten» (Interpellation 19.4592). Diverse Ärzte arbeiten bei mehreren Gutachterstellen. Für Nationalrätin Lilian Studer stellt sich deshalb die Frage, ob die Vergabe per Zufallsprinzip überhaupt etwas bringt, wenn dadurch zwar die Institute gewählt werden, die Gutachterinnen und Gutachter teilweise aber dieselben bleiben.
- «Klärung des Vorgehens 'Überprüfung von Gutachten' (Interpellation 19.4593). In einer weiteren Interpellation will Nationalrätin Lilian Studer vom Bundesrat über sein weiteres Vorgehen bei der angekündigten externen Untersuchung informiert werden.
- «Hoch problematische IV-Gutachten» (Interpellation 19.4623). Die Interpellation von Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber betrifft das Gutachter-Institut PMEDA. Innert 5 Jahren kassierte es rund 14 Millionen Franken. Das Vorgehen ist mehr als zweifelhaft: Ein Patient wurde innert 36 Minuten gesundgeschrieben, ohne dass medizinische Mindeststandards eingehalten wurden. Gutachter werden zur Gewinnmaximierung aus dem Ausland eingeflogen. Ein Gericht hielt fest, dass ein Arzt für den konkreten Fall nicht über genügende Qualifikationen verfügte. Die Interpellation verlangt vom Bundesrat Antworten über die Geschehnisse.
- «Quotenzielsystem des Bundesamtes für Sozialversicherung: Konflikt mit Rechtsanspruch und Untersuchungsgrundsatz?» (Interpellation 19.4636). Ständerätin Maya Graf hat Fragen zu den Zielvereinbarungen, die das BSV mit diversen IV-Stellen abgeschlossen hat: Die Vereinbarungen verlangen, dass Kosten sowie Ablehnungs- und Rentenbestandsquoten gehalten oder gesenkt werden müssen. Ständerätin Maya Graf will u.a. wissen, ob das Zielsystem einen Einfluss auf die sehr restriktive Rentenvergabe hat und ob der Bundesrat bereit ist, im Rahmen der geplanten externen Prüfung des Gutachtersystems auch die Quotenziele zu überprüfen.
Inclusion Handicap wird eine Meldestelle für die Opfer der IV-Willkür im Zusammenhang mit den IV-Gutachteneinführen. Weitere Informationen werden zu einem späteren Zeitpunkt auf der Website www.inclusion-handicap.ch aufgeschaltet.