Die Schonfrist ist vorbei - jetzt müssen mehr Taten folgenMedienkonferenz zu einer Nationalen Behindertenpolitik vom 07. Dezember 2015
Menschen mit Behinderungen werden in der Schweiz immer noch benachteiligt: Dies zeigt die heute vom Bundesrat veröffentlichte Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG). Integration Handicap hat an seiner heutigen Medienkonferenz mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen, eine Regelschule für alle Kinder und die konsequente Umsetzung eines behindertengerechten ÖV gefordert. «Es fehlt eine Gesamtstrategie, um die vollumfängliche Teilnahme der Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft sicherzustellen», sagte Pascale Bruderer. Bei der ebenfalls heute präsentierten Neuentwicklung der IV-Strategie begrüsst Integration Handicap die Fokussierung auf die berufliche Eingliederung, setzt jedoch ein Fragezeichen hinter den Instrumenten.
Die Evaluation des BehiG zeigt auf, dass die heutigen Gesetzesgrundlagen nicht ausreichen, um Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen zu verhindern. Das BehiG hat zwar einige Verbesserungen gebracht, doch der Schein trügt: Die meisten Versprechen konnten bis heute nur zum Teil eingelöst werden. «Wir fordern vom Bund einen konkreten Umsetzungsplan, damit die Ziele erreicht werden können», erklärte Nationalrat Christian Lohr, der in einem Postulat eine nati- onale Behindertenpolitik forderte. Leitgedanke muss die Inklusion sein, wie dies die UNO- Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) festlegt. Die Konvention hatte die Schweiz im Mai 2014 ratifiziert.
Arbeitgeber sind gefordert
Menschen mit Behinderungen werden vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt, ein gesetzlicher Diskriminie- rungsschutz fehlt. «Die Arbeitgeber sind in der Pflicht, ihre Integrationsbemühungen von Men- schen mit Behinderungen zu forcieren», sagte Pascale Bruderer, Präsidentin von Integration Han- dicap. «Dabei sollen sie auch Unterstützung bekommen, nicht zuletzt durch finanzielle Anreize.» Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilnahme am Arbeitsmarkt ist ein inklusives Bildungssys- tem, in dem Kinder mit Behinderungen unter anderem selbstverständlich die Regelschule besu- chen. «Dazu muss die Finanzierung der Aus- und Weiterbildung des Lehrpersonals sichergestellt werden», forderte die Vize-Präsidentin von Integration Handicap, Verena Kuonen.
Ziele des hindernisfreien ÖV sind gefährdet
Damit sich Menschen mit Behinderungen selbstständig bewegen können, müssen Hindernisse bei Gebäuden und beim öffentlichen Verkehr abgebaut sein. Das bedeutet konkret: Rollstuhlgängige Häuser und Haltestellen oder ein Leitliniensystem an den Bahnhöfen für Menschen mit Sehbehin- derungen. Das BehiG verlangt, dass der gesamte ÖV bis 2023 entsprechend ausgestattet ist. Wie die Evaluation nun zeigte, ist dieses Ziel gefährdet.
IV-Strategie: Das Ziel stimmt, Fragezeichen bei der Ausgestaltung
Zudem hat der Bundesrat heute die Weiterentwicklung der IV präsentiert. Die Fokussierung auf die berufliche Eingliederung von jungen Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung ist aus Sicht der Betroffenen zu begrüssen. Das vorgeschlagene Instrumentarium zur frühen Erfassung, Begleitung und Eingliederung vermag jedoch nicht restlos zu überzeugen. Es ist teilweise sehr kompliziert konzipiert und nicht immer genügend niederschwellig ausgestaltet. Integration Handicap spricht sich deshalb für eine Verein- fachung des Eingliederungsangebots aus. Zudem muss mit der Einführung neuer Instrumente zwingend eine Erfolgskontrolle verbunden werden, welche diesen Namen verdient.
Die Kosten der zusätzlichen Eingliederungsmassnahmen müssen aufgrund der Vorgabe der Kos- tenneutralität anderweitig eingespart werden. Betroffen sind Kürzungen beim Taggeld von Versi- cherten während der erstmaligen beruflichen Eingliederung. Integration Handicap hält einige der entsprechenden Vorschläge des Bundesrates für sachlich nicht gerechtfertigt.
Stufenloses Rentensystem unnötig
Integration Handicap hält die Wiederaufnahme der Vorschläge zu einem stufenlosen Rentensys- tem nicht für nötig. Dieses kann zwar die Erwerbsanreize erhöhen, die Wirkung wird aber deutlich überschätzt. Aus Sicht der Behindertenorganisationen käme ohnehin nur eine kostenneutrale Vari- ante in Frage, bei welcher wie heute ab einem Invaliditätsgrad von 70% eine ganze IV-Rente ge- währt wird.
Integration Handicap wird sich an der Vernehmlassung beteiligen, die Vorlage kritisch würdigen und wo nötig Verbesserungsvorschläge einbringen.
Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen betrifft alle Lebensbereiche unserer Gesell- schaft und ist geprägt von Fortschritten und Rückschlägen. Der Weg zu einer inklusiven Gesell- schaft und somit auch zur Umsetzung der UNO-BRK ist noch lang. Um dies zu veranschaulichen hat Integration Handicap an seiner Medienkonferenz eine eigene Version des «Leiterlispiels» vor- gestellt, das von Beatrice Kaufmann illustriert wurde. Die Illustration liegt der Medienmitteilung bei.
Kontakt zu Fragen der Nationalen Behindertenpolitik
Pascale Bruderer Wyss, Präsidentin Integration Handicap. Tel.: 076 527 17 56 Julien Jaeckle, Geschäftsleiter Integration Handicap. Tel.: 078 666 02 59, E-Mail: julien.jaeckle@integrationhandicap.ch
Kontakt zu Fragen der IV-Strategie
Georges Pestalozzi, Abteilungsleiter Sozialversicherungen Tel.: 031 370 08 30, E-Mail: georges.pestalozzi@integrationhandicap.ch