Stimmrechtsausschluss von Menschen mit Behinderungen laut Bundesrat nicht BRK-konformBericht des Bundesrates zu politischen Rechten
Bern, 25.10.2023 - Wählen und abstimmen zu können, ist für erwachsene Schweizer:innen eine Selbstverständlichkeit. Nicht so für viele Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung. In seinem heute veröffentlichten Bericht zur politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen kommt der Bundesrat zum Schluss, dass der aktuell in der Bundesverfassung verankerte Stimmrechtsausschluss nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vereinbar ist. Inclusion Handicap fordert die Anpassung der betreffenden Rechtsgrundlagen, um die politische Teilhabe zu gewährleisten.
Der vergangene Wahlsonntag war historisch für die politische Inklusion in der Schweiz: In der nächsten Legislatur werden so viele Menschen mit Behinderungen im Parlament vertreten sein wie noch nie zuvor. Im Bereich der politischen Rechte gibt es aber weiterhin Handlungsbedarf: Menschen, die wegen dauernder Urteilsunfähigkeit unter umfassender Beistandschaft stehen oder durch eine vorsorgebeauftragte Person vertreten werden, sind heute auf Bundesebene vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen. Dieser Ausschluss stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die politischen Rechte der Betroffenen dar: ihre Meinung zählt nicht, sie werden nicht als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger anerkannt. Das Postulat Carobbio forderte den Bundesrat deshalb auf, darzulegen, welche Massnahmen nötig sind, damit Menschen mit einer geistigen Behinderung uneingeschränkt am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können.
Kantone zeigen den Weg
Der Kanton Genf hat 2020 diesbezüglich bereits eine Verfassungsänderung auf Kantonsebene angenommen. Am 19. September 2023 wurde im Kanton Zürich eine Behördeninitiative im Kantonsrat angenommen, welche den Regierungsrat beauftragt, eine kantonale Rechtsgrundlage für das Stimmrecht für Menschen mit einer Beistandschaft zu schaffen. In Solothurn und Luzern laufen derweil Unterschriftensammlungen für Volksinitiativen mit demselben Ziel. Die Waadt und das Tessin kennen Verfahren, welche die Gewährleistung der politischen Rechte auch für Menschen unter umfassenden Beistandschaften verlangen.
Bundesrat bestätigt Handlungsbedarf
Der Postulatsbericht bestätigt, was bereits der UNO-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2022 kritisiert hatte: Der heute in der Schweiz geltende Ausschluss von Menschen mit Behinderungen, die unter umfassender Beistandschaft stehen oder durch eine vorsorgebeauftragte Person vertreten werden, ist diskriminierend. Der Bundesrat hält damit unmissverständlich fest, dass Nichtstun keine Option ist. «Darüber freue ich mich sehr - die Beseitigung der Diskriminierung von Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung im Bereich der politischen Rechte ist schon lange fällig. Ich werde mich im Parlament dafür einsetzen, dass die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen werden», so Maya Graf, Co-Präsidentin von Inclusion Handicap und Ständerätin (Grüne/BL). Inclusion Handicap wird als Dachverband der Behindertenorganisationen in der Schweiz weiterhin entschieden darauf hinarbeiten, dass die politische Teilhabe für alle Menschen mit Behinderungen gewährleistet wird.