Bundesrat hat nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochenBemessung des IV-Grads anhand LSE-Tabellenlöhnen
In einem am 23. Juli 2024 veröffentlichten Urteil (8C_823/2023) hält das Bundesgericht fest, dass die bundesgerichtliche Praxis zu den leidensbedingten Abzügen auch nach Inkraftsetzung der IV-Weiterentwicklung Bestand hat. Gemäss Bundesgericht hat der Bundesrat mit der Aufhebung des leidensbedingten Abzugs als Ganzes nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen.
In einem Fall aus dem Kanton Basel-Stadt wendete das kantonale Sozialversicherungsgericht weiterhin die bisherige Praxis des Bundesgerichts zum leidensbedingten Abzug an: Es ermittelte das Einkommen, welches der Betroffene nach Eintritt der Invalidität noch erzielen kann, anhand der Tabellenlöhne der Lohnstrukturerhebung (LSE) und gewährte aufgrund seiner konkreten Situation einen Abzug von 15 Prozent vom LSE-Tabellenlohn. Nachdem das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hiergegen eine Beschwerde erhoben hat, gibt das Bundesgericht dem Bundesrat als Verordnungsgeber eine schlechte Note: Mit der Aufhebung des leidensbedingten Abzugs als Ganzes hat er nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen. Daraus folgt, dass auch mit den per 1.1.2022 revidierten Bestimmungen des Invalidenversicherungsgesetzes und der Invalidenversicherungsverordnung dem konkreten Einzelfall Rechnung zu tragen und gegebenenfalls ein leidensbedingter Abzug von bis zu 25 Prozent zu gewähren ist.
Inclusion Handicap hat sich immer dezidiert gegen die Aufhebung des leidensbedingten Abzugs ausgesprochen und ist erfreut über die Klarstellung durch das Bundesgericht. Aus der Sicht des Dachverbandes muss es das Ziel sein, das Einkommen einer Person mit Behinderung so realistisch wie möglich festzulegen und gestützt darauf dann den IV-Grad zu ermitteln und entsprechende Leistungen zu gewähren. Inclusion Handicap erwartet vom Bundesrat nun die Anpassung der Invalidenversicherungsverordnung. Anstatt des Ausschlusses von weiteren Abzügen (vgl. Art. 26bis Abs. 3 letzter Satz IVV) ist vielmehr festzuhalten, dass lohnmindernde Faktoren zu weiteren Abzügen führen können
Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 23. Juli 2024
Urteil des Bundesgerichts vom 8. Juli 2024, 8C_823/2023