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ATSG-Reform

«Im Zweifelsfalle für die Versicherung und gegen Versicherte» - so lassen sich die Beschlüsse des Parlaments zur Reform über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) zusammenfassen. Die Schlussabstimmung ist noch ausstehend.

Das ATSG hat weitreichende Folgen. Es bildet die rechtliche Grundlage für die Sozialversicherungen: für die IV, die AHV, die Ergänzungsleistungen (EL), die Arbeitslosen-, Unfall-, Militär- oder Grundversicherung der Krankenkassen. Die Beschlüsse des Nationalrates sind deshalb von einschneidender Bedeutung und betreffen die gesamte Bevölkerung, Versicherte mit Behinderungen sind jedoch besonders tangiert. Sie stellen ein Ungleichgewicht zu Gunsten der Versicherungen her.

Drei Punkte der Reform sind besonders störend.

  1. Kontraproduktive Kostenpflicht bei Beschwerdeverfahren: Neu soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Versicherten die Beschwerdeverfahren zahlen müssen. Das Ziel: Versicherte sollen abgeschreckt werden, für ihr Recht zu kämpfen. Die Befürworter argumentieren, dass der administrative Aufwand zu gross ist und mit einer Kostenpflicht die Anzahl der Verfahren abnehmen wird. Bereits heute gilt die Kostenpflicht bei der IV – und die hat jedoch zu einem ganz anderen Resultat geführt: Die Gerichte sind mit mehr Arbeit konfrontiert. Die Anzahl der Beschwerden hat nicht abgenommen, gleichzeitig haben die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege, die einzeln geprüft werden müssen, zugenommen.
  2. Verlängerung der Rückforderungsfrist von 1 auf 3 Jahre: Versicherungen dürfen unrechtmässig bezogene Leistungen neu auch drei Jahre später noch einfordern. Auch wenn Versicherungen selber einen Fehler begehen und fälschlicherweise zu viel Leistungen ausbezahlen, müssen die Versicherten – häufig in prekären finanziellen Verhältnissen – in steter Unsicherheit leben, auch wenn sie sich völlig korrekt verhalten. Schon heute gelten Fristen zwischen 7 und 15 Jahren, falls ein Versicherter Leistungen mutwillig erschlichen hat.
  3. Muss Versicherter Kosten übernehmen bei Fehler der Versicherungen? Künftig können die Sozialversicherungen die Kosten der Abklärungen – also z.B. medizinische Gutachten – auf die Versicherten überwälzen, falls eine Leistung «in anderer rechtswidriger Weise» bezogen wurde. Der Begriff «in anderer rechtswidriger Weise» ist jedoch völlig unbestimmt und wird für grosse Unsicherheit sorgen.

Beispiel

Folgendes Beispiel zeigt, welche Folgen die ATSG-Reform hat.

Frau A. verliert ihre Stelle und meldet sich bei der Arbeitslosenkasse. Im Januar 2018 findet sie eine Teilzeitstelle und erzielt einen Zwischenverdienst, den sie der Kasse korrekt mit dem entsprechenden Formular meldet. Die Kasse übersieht die Meldung und bezahlt die Kontrollperiode, ohne den Zwischenverdienst zu berücksichtigen. Frau A. vertraut der Arbeit der Kasse, weil sie eben sämtliche Informationen geliefert hat. Die Arbeitslosenkasse realisiert erst im Januar 2019, dass sie den Zwischenverdienst fälschlicherweise nicht berücksichtigt und somit zu viel Arbeitslosentaggeld ausbezahlt hat. Sie wird nun 3 Jahre lang bzw. spätestens bis Januar 2022 Zeit haben, um die zu viel bezahlte Entschädigung zurückzufordern. Die zuviel erhaltenen Leistungen sind ein gutes Beispiel für eine sogenannte «unrechtmässig erhaltene Leistung». Das Risiko trägt einseitig Frau A, obwohl der Fehler der Versicherung unterlaufen ist.

Das Beispiel zeigt: Die ATSG-Reform ist eine einseitige Revision, die die Versicherungen einseitig zu Ungunsten der Versicherten bevorteilt.